Wittgenstein Jr.

Autor IYER, Lars

Verlag Brooklyn: Melville House 2015

Mit großem Vergnügen habe ich dieses Buch gelesen, nicht zuletzt deswegen, weil dieses Buch gelesen zu haben auch bedeutet, es nicht gelesen zu haben. (Das wäre etwa ein typischer Satz für diesen Roman.)

Eine Gruppe Studenten in Cambridge; und ein Lektor, den sie Wittgenstein Jr nennen, weil er ihnen, den undergraduates, wie der wirkliche Wittgenstein (von dem sie auch wenig Ahnung haben) vorkommt. Wittgenstein hat kein Programm, bringt nicht explizit etwas bei, sondern denkt. Denkt laut. Fragt- vor allem sich selbst -, antwortet – vor allem sich selbst -, verwirft seine Antworten. Wittgenstein Jr will ein System der Logik erarbeiten; nein, kein System: die Logik beschäftigt ihn. Und wenn die Logik da ist, dann wird sich alles verändern. Sein Bruder, der Mathematiker, ist schon in Oxford an den philosophischen Ungeheuerlichkeiten (und an Oxford!) gescheitert, hat sich jung umgebracht. Blüht Wittgenstein Jr ein ähnliches Schicksal?

Nicht nur für seine Studenten, trinkfeste Charaktere, ist nichts fassbar; auch Wittgenstein findet viel an Unfassbarem und Widersprüchlichem. Ein Beispiel? To leave Cambridge is to return to Cambridge […] The path to Grantchester! The path to Cambridge! The path to Grantchester is only ever the path to Cambridge! (70) Neben dem stetigen Philosophieren und dem Vortragen von allerhand Absurditäten (oder auch nicht, aber etwa: „All of England was once a lawn, Wittgenstein says.“ [60]), und das unter häufiger Verwendung des Kursiven, erfahren wir vom Studentenalltag – aber das in einer skurrilen, überzeichneten, zum Teil grotesken Weise. Der Erzähler, das Arbeiterkind Peters, sieht sich zwar nicht der Logik gewachsen, aber dafür wächst ihm Wittgenstein immer mehr ans Herz, was zu einer ein bisschen banalen Ausweitung der Geschichte führt. Aber der Verlauf der Handlung ist auch nicht so wichtig, wichtig ist die Philosophie, die naturgemäß in Cambridge (wie auch in Oxford) nicht gedeihen kann.

Auch wenn die Kritik bei Iyer, dessen Spurious-Trilogie ich mir sofort bestellt habe, andauernd Beckett bemüht, so ist das für mich purer Thomas Bernhard, wenn man schon ein Vorbild suchen muss. „What if they [Wittgenstein und sein Bruder] had never embarked upon their life of the mind?“, fragt sich Wittgenstein Jr. Schade wär’s gewesen für uns – ohne diese Geistesmenschen. Naturgemäß.

pp. 226

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Sprache
Deutsch
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Veröffentlicht am
01.03.2016
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