Waiting

Der Reiseleiter in Wu'xi erzählte uns, dass seine Frau in Tibet arbeitet und sie einander nur zweimal im Jahr sehen - dies ist also auch in der heutigen chinesischen Gesellschaft keine allzu verwunderliche Tatsache.Lin Kong, ein Armeearzt, ist mit einer Frau namens Shuyu - nach elterlichem Arran ...

Der Reiseleiter in Wu'xi erzählte uns, dass seine Frau in Tibet arbeitet und sie einander nur zweimal im Jahr sehen - dies ist also auch in der heutigen chinesischen Gesellschaft keine allzu verwunderliche Tatsache.
Lin Kong, ein Armeearzt, ist mit einer Frau namens Shuyu - nach elterlichem Arrangement - verheiratet; sie lebt nach wie vor in ihrem Dorf, und Lin sieht sie und seine Tochter nur einmal im Jahr, wenn er seinen zwölftägigen Urlaub antritt. Lin hat im Spital eine Krankenschwester, Manna, kennen und lieben gelernt. Achtzehn lange Jahre versucht er sich von Shuyu scheiden zu lassen, doch diese willigt jedes Mal, wenn sie vor dem Dorfrichter stehen, nicht ein. Nach 18 Jahren erfolgt die Scheidung automatisch, Lin versorgt Frau und Tochter und heiratet Manna, die bald darauf Zwillinge (Söhne noch dazu) gebiert. Aber über das Warten sind sie alle miteinander alt geworden - das große Glück bleibt aus, neues Warten zeichnet sich allüberall ab.
Ha Jins Roman führt uns aus den 60er Jahren in die 80er Jahre und ist damit auch ein politischer Roman, der die Bedingungen, unter denen die Liebenden, aber auch die Dorfbevölkerung leben, leise und nebenbei, doch nicht minder ausdrucksstark anführt. Die Liebesgeschichte wird damit auch zur politischen Allegorie, das nicht wirklich gelebte Leben dominiert das Dasein der meisten Hauptakteure. Viel eher reüssiert da der Genosse Geng Yang, der Manna vergewaltigt hat, die Armee hinter sich gelassen hat und in den 80er Jahren in einer Fernsehsendung, "To Get Rich Is Glorious", als erfolgreicher Manager auftaucht. Für Lin, einen sensiblen und ehrbaren Menschen, hat die innere Stimme hingegen Folgendes übrig: All those years you waited torpidly, like a sleepwalker, pulled and pushed about by others' opinions, by external pressure, by your illusions, by the official rules you internalized. You were misled by your own frustration and passivity, believing that what you were not allowed to have was what your heart was destined to embrace." (295) Ha Jin hat einen leisen, vielschichtigen Roman in bester realistischer Tradition geschrieben, der ohne vordergründige Actionszenen auskommt, der keine großen Überraschungen und Auftritte (von der kurzen Vergewaltigungsszene abgesehen) braucht, um die Spannung aufrecht zu erhalten. Ein bisschen ist da natürlich vom ethnographischen Roman dabei, bei dem wir den Kopf über andere Länder und Sitten schütteln mögen, aber im Großen und Ganzen ist es doch eher ein Beitrag zur menschlichen Komödie, in der sich leise Tragik ansammelt. Den National Book Award hat das Buch fraglos verdient.

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.07.2001
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