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Zu Beginn des Romans (des sechsten von Meg Wolitzer) befinden wir uns auf dem Finnair Flug 702 nach Helsinki. Hier soll Joseph Castleman, einer der renommiertesten Romanschriftsteller Amerikas, eine begehrte internationale Auszeichnung für sein literarisches Schaffen erhalten. Und genau w&a ...

Zu Beginn des Romans (des sechsten von Meg Wolitzer) befinden wir uns auf dem Finnair Flug 702 nach Helsinki. Hier soll Joseph Castleman, einer der renommiertesten Romanschriftsteller Amerikas, eine begehrte internationale Auszeichnung für sein literarisches Schaffen erhalten. Und genau während dieses Fluges trifft Joan Castleman die Entscheidung, ihn nun endlich – nach 40 gemeinsamen Jahren, die sie ihm und ihren Kindern, vor allem aber seiner Karriere als Schriftsteller geopfert hat – zu verlassen. Er selbst ist völlig ahnungslos, selbstzufrieden in seinen Kokon eingesponnen, ausschließlich auf sich und seine literarischen Erfolge konzentriert. Wie sehr Joseph seinen Ruhm seiner Ehefrau verdankt, erfahren wir erst gegen Ende des Buches, wo es zu einer schockierenden Enthüllung kommt.

In die Beschreibung des Fluges nach Helsinki und des kurzen Aufenthalts dort sind zahllose Rückblenden eingebettet, beginnend mit den Fünfzigerjahren, als Joan, die Ich-Erzählerin des Romans, ihr Studium am Smith College, das sie eben erst begonnen hat, abbrechen muss, weil ihr Verhältnis mit dem Lektor Joe Castleman aufgeflogen ist. Auch viele andere Erinnerungen werden wach: an das gemeinsame Ehe-und Familienleben, an die drei Kinder, an die enge berufliche Zusammenarbeit, an die permanente Untreue von Joe. In Summe entsteht das Bild eines wenig liebenswerten Ehemanns, sodass man/frau sich nicht nur einmal die Frage stellt: Wieso hat Joan derart lange an seiner Seite ausgeharrt? Sie selbst erklärt es an einer Stelle des Romans mit dem "Luxus des Vertrauten, des Bekannten": "[…] the same hump of back poking up under the cover in bed, the hair tufting in the ear: The husband. A figure you […] simply lived beside, season upon season, which started piling up like bricks spread thick with sloppy mortar."

Die erzählerische Meisterschaft von Meg Wolitzer ist unbestritten, wiewohl die Wahl der Perspektive, die ausschließliche Beschränkung auf Joans Sichtweise, auch ihre Nachteile hat. Und wo es darum geht, Joes Kindheit und Jugendzeit einzufangen, gerät Wolitzer wohl etwas in erzähltechnische Schwierigkeiten. Insgesamt bekommen wir – naturgemäß – ein einseitiges Bild des Ehemanns, der für Joan beides ist: "my giant baby" und "the man who owns the world".

Auf alle Fälle gelingt es Joe, sich ein Leben lang immer wieder aus der Affäre zu ziehen. Und selbst dem Verlassenwerden und dem Dasein als einsamer Ehemann entkommt er - wenn auch auf durchaus makabre Weise.

 

PS: Beachten Sie das geniale Cover!

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.07.2001
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