Thinks

David Lodge, einer der Ahnherren der campus novel, hat seit langem wieder einmal einen Roman geschrieben, mit dem er zu seinem Stammschauplatz zurückkehrt. Es ist zwar nicht Rummidge, wohin wir mit ihm verreisen, sondern die University of Gloucester, wo Ralph Messenger, fast 50, als Professor fü ...

David Lodge, einer der Ahnherren der campus novel, hat seit langem wieder einmal einen Roman geschrieben, mit dem er zu seinem Stammschauplatz zurückkehrt. Es ist zwar nicht Rummidge, wohin wir mit ihm verreisen, sondern die University of Gloucester, wo Ralph Messenger, fast 50, als Professor für Cognitive Science arbeitet. Ralph ist erfolgreich in der akademischen Welt und bei den Frauen. Sein akademischer Erfolg zeigt sich in einem Medienbuchbestseller, in der Tatsache, dass er ein renommiertes Forschungszentrum an der Universität leitet und dass er erfolgreiche Großkonferenzen organisiert. Sein Erfolg bei den Frauen zeigt sich an der Liebhaberinnenspur, die er hinterlässt. Sein Erfolg in beiden Welten wird dadurch gewürdigt, dass Private Eye ihn als "Media Dong" bezeichnet.

Ralph ist natürlich verheiratet, und seine wohlhabende amerikanische Frau Carrie weiß natürlich, dass er ein Filou ist; aber solange er seinen gewaltigen Sextrieb bei Konferenzen auslebt, will sie sich gerne blind und taub stellen. Dass sich beide nur ungern an solche Abmachungen halten, ist eine andere Geschichte.

Enter Helen Reed! Sie ist die Autorin eines äußerst erfolgreichen Romans und soll ein Semester lang die creative writing class der Universität führen. Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes braucht Helen die 'Zerstreuung' - und sie bekommt mehr davon, als ihr möglicherweise lieb ist.

Als sie auftaucht, sieht Messenger eine neue Beute, aber auch Helen ist von seiner direkten und durchaus liebenswürdigen Art fasziniert; sie freundet sich mit dem Ehepaar an und führt gleichzeitig einen wackeren Kampf gegen die Versuchung.

Es wäre kein Lodge, wenn dieses Erzählgerüst nicht Aufhänger für unendlich viele andere Geschichten, Abschweifungen, sub-plots, Betrachtungen, Parodien, wissenschaftliche und poetologische Auseinandersetzungen wäre. Da ist Helens Tagebuch, da sind Messengers Tonbandaufzeichnungen, in denen er deutlich mehr von Sex als der Kognitionswissenschaft redet, da sind Erzählungen aus der Schreibklasse Helens, da sind Gespräche über zwei höchst unterschiedliche Welten, die der Wissenschaft und die der Literatur. Es ist ganz einfach, sich in einem Lodge-Roman wohl zu fühlen. Bei allen Verwicklungen, bei allen Ängsten, die die Hauptfiguren plagen, bei allen Spannungsbögen, die konstruiert werden, bleibt der gepflegte, geistreiche, kultivierte, urbane Grundton; selbst das Wort fuck klingt zivilisiert, und Ehebruch wird als höhere Kunst betrachtet.

Messenger ist eine Figur, die Männern gut tun muss; er ist vom Erfolg verwöhnt, in seinen Beziehungen und in seinem Beruf. Er hat Glück und entkommt immer wieder, sei es der Krankheit oder der Ehekrise, sei es der langfristigen Bindung oder des momentanen Misserfolgs. Lodge hat mit Messenger eine Figur geschaffen, die die Herzen seiner männlichen Leserwelt höher schlagen lassen muss. Gleichzeitig hat er Aufgeklärtheit und Genussfähigkeit so hineinverpackt, dass sich der Vergleich zwischen Romanlektüre und einem gelungenen Essen im Haubenlokal aufdrängt. Helen ist da ein bisschen die charmante Begleitung; obwohl sie eigentlich eine interessante Figur ist, verblasst sie neben der Energie eines Messenger.

So eine Botschaft hören viele Leser (auch manche Leserinnen?) sicher gerne.

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.07.2001
Link
https://rezensionen.schule.at/portale/rezensionen/newsletter-fuer-englisch/detail/thinks.html
Kostenpflichtig
nein