"Als Freund der Very Long Novel lese ich selten Kurzgeschichtensammlungen; als jemand, der sich noch dazu ungern konzentriert, bin ich vielleicht auch nicht prädisponiert für die feine Klinge der Kurzgeschichte.
Gott sei dank sind die Engländer nicht nur mit der feinen Klinge unterwegs. Natürlich sind die 37 Geschichten meisterhaft gestaltet, ziseliert und ökonomisch, wie sich's gehört, aber gleichzeitig dringt doch immer das unverwechselbar Englische durch. Wenn einmal eine Grille beschrieben, eine Eigenheit dargestellt, ein Spleen vorgeführt wird, dann fällt es den AutorenInnen offensichtlich schwer, des Guten nicht zu viel zu tun. Hinter aller Gefasstheit bricht doch immer wieder das Exzentrische, das vielleicht im noch so biedersten englischen Charakter angelegt ist, durch.
Nehmen Sie gleich die erste Geschichte, William Gilberts "The Sacristan of St Botolph"; sie ist voll altväterischer Absurdität und in ihrer Gesetztheit so gelungen, dass mir also der Einstieg in den Band nicht schwer fiel. Natürlich gingen manche Geschichten rasch an mir vorüber, und ich könnte nur mehr wenige Worte über sie sagen. Dafür sorgen aber manch andere wiederum für bleibende Eindrücke. Trollope, Hardy, Lawrence, Wodehouse, Waugh, Greene, White, Sillitoe, Carter, McEwan, besonders aber auch Rose Tremain steuern Geschichten bei, die sich bestimmt mehrmals lesen lassen (und da will ich jetzt gar nicht jene aufzählen, denen ich vermutlich Unrecht tue).
Was hält Byatts Sammlung zusammen? Das leicht Exzentrische, das, was wir durchaus gerne mit dem englischen Charakter assoziieren, ob wir nun recht damit haben oder nicht. So besehen ist der Band wahrscheinlich nicht nur Pflichtlektüre in England, sondern auch alle Anglophilen hierzulande werden sich mit Vergnügen drauf stürzen - und sobald die Taschenbuchausgabe da ist, würde es mich nicht wundern, wenn sie in Seminarräumen herumliegt - to the greater good of everybody!"