The Line of Beauty

Ein umfangreicher Gesellschaftsroman mit einer gehörigen Portion
schwulem Sex – das also trägt den Booker Preis 2004 nach Hause.
Hollinghurst siedelt seinen Roman, wie "The Swimming Pool Library", wieder in den 80er Jahren an, in denen sich ein ...

Ein umfangreicher Gesellschaftsroman mit einer gehörigen Portion

schwulem Sex – das also trägt den Booker Preis 2004 nach Hause.

Hollinghurst siedelt seinen Roman, wie "The Swimming Pool Library", wieder in den 80er Jahren an, in denen sich eine Handvoll Leute so benahm, als gehörte

das Land ihnen und als seien sie nur Mrs T. Rechenschaft schuldig und sonst niemandem. (Ironischerweise hat das heutzutage und hierzulande einige Aktualität, wo Selbstzufriedenheit, Drittklassigkeit und patziger Neoliberalismus salonfähig gemacht wurden.) Vertreter der gehobenen Selbstzufriedenheit sind die Feddens. Gerald Fedden ist einer der neuen Tory MPs, seine Frau kümmert sich um das große Haus in West-London, der Sohn hat Zeitungskontakte, die Tochter Catherine ist die "Wilde" der Familie. Aber Catherine opponiert, wie sich später herausstellt, gegen Vater und Vaters Freunde nicht so sehr wegen ihres sozialen Gewissens, sondern aus einer grundlegenden Instabilität heraus, ist also auch keine positive Gegenfigur.

Bei den Feddens zieht Nicholas Guest (sic!) ein, frisch aus Oxford und Freund der Fedden-Kinder. Nick, Henry James-Spezialist, will dem Schönen leben. Klar, dass das in dieser Welt nicht einfach ist, schon gar nicht in der Thatcher-Welt, in der die Trickster, die Macher, die Utilitaristen, die Männer, die wissen, wo es langgeht, zu Hause sind. Aber Nick schlägt sich mit ironischer Distanz und dem Geschick des Deplazierten durch; allmählich wird er zum troubleshooter der Familie, die natürlich eines nicht weiß: dass Nicks Homosexualität mehr Schwierigkeiten bringen wird, als er – oder jemand anderer – beseitigen kann. Aber 1983 erleben wir ihn noch in seinen Begegnungen mit Leo auf den Höhepunkten der Lust. Und drei Jahre später finden wir ihn in einer intensiven Beziehung mit Wani Ouradi, dem schönen Sohn eines immens reichen libanesischen Geschäftsmanns. Mit ihm macht er auch die Zeitschrift "Ogee" (einer doppelt geschwungenen Kurve). Hier wird auch der Ästhetizismus des Buches am deutlichsten: Nick will sich nicht mit Hogarths "Analysis of Beauty" (1753) zufrieden geben, sondern eine neue Analyse durchführen. Da ist aber Wani schon todkrank, weil er, im Gegensatz zu Nick, AIDS nicht ernst genommen hat. Und 1987 wird Nick, als Polit- und Sexskandal die englische Boulevardpresse toben machen, aus dem Leben der Feddens entfernt. Wir müssen uns vermutlich keine allzu großen Sorgen um ihn machen, aber ein Lebensabschnitt geht für alle Protagonistinnen und Protagonisten deutlich sichtbar und hörbar zu Ende. Nick war dabei immer ein bisschen der Beobachter und Abschätzer (mehr als Einschätzer), war immer ein bisschen 'detached', tat immer so, als gehörte er nicht wirklich hierher. Und am Ende wird ihm auch vorgeworfen, er habe bloß einen alten Schwulentrick angewendet: da er keine eigene Familie haben könne, habe er sich an eine angeklettet.

Hollinghursts Rezept, eine Mischung aus gepflegt-langweiligem Blick durchs Schlüsselloch und intensiver Sexszenen im Vollbild, scheint wieder aufzugehen, obwohl wir immer wieder fragen: Wollen wir eigentlich diesen Leuten so lange zuhören und zusehen? Ist das nicht wie eine Fernsehserie, die einfach verdammt lang dauert, auch wenn darin schöne Menschen Augenbrauen fein hochziehen und ein paar geschliffene Aperçus zum Besten geben? Lange Passagen sind einfach so lange wie die Abende, an denen geplaudert, Champagner getrunken, gefeiert wird. Und der Sex irritiert oder fasziniert vielleicht manche Leser/-innen bei der ersten Begegnung mit Leo (eine gelungene Szene), reicht aber auch nicht für das ganze Buch. Natürlich sind ein paar Szenen sehr gut getroffen, etwa der Auftritt des selbstherrlich-pompös-egoistischen Maurice. Oder der fulminante Schluss. Aber insgesamt bleibt doch der schale Beigeschmack: Hier wird in eine wenig erfreuliche Epoche jüngster englischer Vergangenheit hineingejamest, dass es fast keine Freude mehr ist. Da mag Hollinghurst noch so ein Sprachvirtuose sein, auch durchaus witzige Passagen liefern – letztendlich tut uns das Auge am Schlüsselloch ein bisschen weh. Und für einen kontinentalen Leser wie mich, der auch nicht diesen affektiven Bezug zu den angelsächsischen Attitüden hat, ist der Roman sicher nicht der große Wurf. Für eine Insel mag es ja reichen, für den Booker Preis eigentlich schon weniger. Und von der Unsterblichkeit reden wir gleich gar nicht.

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.07.2001
Link
https://rezensionen.schule.at/portale/rezensionen/newsletter-fuer-englisch/detail/the-line-of-beauty.html
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