The Kiss

Ein unangenehmes Gefühl, das dieses Buch vermittelt! So, als ob man zufällig in einem Haus (noch besser: in einem Schlafzimmer) gelandet wäre und Dinge vernimmt, die man nie wissen wollte.
Harrison hat eine Autobiografie geschrieben, deren zentraler Punkt ihr Verhältnis mit ihrem Vater ist. 20 ...

Ein unangenehmes Gefühl, das dieses Buch vermittelt! So, als ob man zufällig in einem Haus (noch besser: in einem Schlafzimmer) gelandet wäre und Dinge vernimmt, die man nie wissen wollte.

Harrison hat eine Autobiografie geschrieben, deren zentraler Punkt ihr Verhältnis mit ihrem Vater ist. 20 Jahre war er, der Pastor einer amerikanischen Religionsgemeinde, nur ein Schatten, denn er hatte die Familie bald verlassen. Kathryn wird erzogen von einer überspannten Mutter, einem viktorianischen Großvater, einer seltsamen Großmutter. Sie selbst geht durch Stadien der frühen Verweigerung (Französischunterricht), der Anorexie, kurzum: des Sich-Selbst-zum-Verschwinden-Bringens.

Dann kommt der Vater – mit seiner ungeheuren Präsenz. Zwanzig Jahre Liebesentzug werden schmerzlich bewusst; dass es mehr ist als Vater-/Tocherliebe, wird ihr bewusst, als er ihr zum Abschied einen Zungenkuss gibt. Es dauert Jahre, bis sie sich wieder von ihm lösen kann...

Dies ist nicht die Geschichte eines Missbrauchs, wie wir ihn sonst aus der Literatur (und der Wirklichkeit) kennen. Kathryn ist 20, als sie ihrem Vater begegnet. Aus Verstörung und gegen die Mutterfigur handelnd, mag ihr passiert sein, was ihr passiert ist. Der Vater aber handelt m. E. weniger aus einer amour fou-Haltung heraus, sondern aus dem Brustton seiner religiös motivierten Selbstsicherheit: dass das alles so sein muss, wie es ist.

"The Kiss" war für mich unangenehme Lektüre (sollte es wohl auch sein), weil uns das Buch zum Voyeur macht und weil es keine einfache Schuldzuweisung gibt. Es hat mich aber auch so manches Detail gestört, z.B. stundenlang unter der Dusche sitzen, beim Telefonieren mit dem Vater in Tiefschlaf verfallen (wiewohl das alles Abwehrmechanismen sein mögen); diese Häufung von seelischen und moralischen Verkrüppelungen lässt auch immer ein bisschen den Eindruck von Pose bei mir zurück; damit stelle ich aber auch das Buch ein wenig ins fiktionale Eck – ob zu Recht oder zu Unrecht, entscheiden Sie am besten selbst.

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.07.2001
Link
https://rezensionen.schule.at/portale/rezensionen/newsletter-fuer-englisch/detail/the-kiss.html
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