The Hours

Ich bin ja nur ein common reader, der halt auf Grund der Lese-Fülle so manche Querverbindungen ziehen kann, aber ich habe ein durchaus zwiespältiges Verhältnis zur Intertextualität, nämlich dann, wenn ich das Gefühl habe, ich muss höllisch aufpassen, dass mir n ...

Ich bin ja nur ein common reader, der halt auf Grund der Lese-Fülle so manche Querverbindungen ziehen kann, aber ich habe ein durchaus zwiespältiges Verhältnis zur Intertextualität, nämlich dann, wenn ich das Gefühl habe, ich muss höllisch aufpassen, dass mir nicht eine "bedeutsame Anspielung" entgeht.
"The Hours" ist so ein Buch, wo man zumindest mittelhöllisch aufpassen sollte, denn sonst entgeht einem der eine oder andere wieder aufgegriffene Satz, die eine oder andere Konstruktionsleistung, die vollbracht wurde. Es hilft auf jeden Fall, ein bisschen etwas über Virginia Woolf zu wissen, damit man auch wirklich schätzen kann, was Cunningham hier - sehr gekonnt übrigens - zusammengedrechselt hat.

Cunningham verbindet die Welten dreier Frauen miteinander: Da ist zum ersten Virginia Woolf, mit deren Selbstmord (1941) das Buch beginnt, die wir aber auch bei ihrer Arbeit an "Mrs Dalloway" kennen lernen.
Dann ist da Clarissa Vaughan (52), die für ihre große Liebe, den Dichter Richard Brown, der an AIDS leidet und der soeben einen Preis gewonnen hat, eine Feier vorbereitet; Clarissa wird von ihm liebevoll Mrs D. genannt (die Clarissa-Kapitel sind auch mit Mrs Dalloway überschrieben); ihr Tag in der Gegenwart beginnt damit, dass sie Blumen kauft, so wie Mrs Dalloway im Roman. Und dann ist da schließlich Laura Brown, die wir 1949 kennen lernen - und dann wieder in der Gegenwart, weil sie sich als Richards Mutter entpuppt.

Cunningham, mit dem Pulitzer-Preis für dieses Buch ausgezeichnet, hat mit viel Geschick die Nahtstellen geschaffen. Laura liest Woolf, Clarissa geht Blumen kaufen, Virginia versucht zu entfliehen, Laura ebenso etc. etc. Gleichzeitig hält das Thema Selbstmord die Schicksale zusammen. Laura denkt darüber nach und wagt es nicht, Clarissa beobachtet Richards Selbstmord (vgl. auch "Mrs Dalloway"), Virginias Selbstmord eröffnet das Buch. In den anstrengenden Leben der Figuren gibt es nur wenige kostbare Momente, aber genau die sind es, die das Leben verlängern: der Kuss für Clarissa etwa, der Geburtstagskuchen, den Laura mit dem kleinen Richie bäckt, die Idee für die Ausgestaltung einer Romanfigur, die Virginia hat. Diese Stunden sind es, die das Leben lebenswert machen, aber denen stehen jene gegenüber, die Richard fürchtet: Nach der Feierstunde kommt noch eine Stunde, dann noch eine Stunde, dann noch eine. (Gleichzeitig erinnern wir uns: "Mrs Dalloway" sollte eigentlich "The Hours" heißen.)
Bei diesem Gewebe habe ich gar nichts über die Momente der Anziehung, der Beziehung, der Sexualität in diesem Buch gesagt, die ganz subtil immer wieder auftauchen, noch nichts über die Möglichkeiten Laura und Clarissa minutiös in das Werk der Woolf einzuordnen. (Mrs Brown? Natürlich: "Mr Bennet und Mrs Brown".)
Bei aller Gescheitheit, bei allem erzähltechnischem Bravour, die von diesem Buch ausgehen, bleibt doch etwas Reißbrettartiges haften. Clarissa und Laura als Kunstfiguren verblassen letztendlich neben der "echten" Figur der Virginia Woolf. Womit wieder einmal erwiesen wäre, dass die besten Romane vom Leben geschrieben werden; aber das sollte Woolf-Leser/-innen nicht weiter bekümmern. Sie - und auch so manche common readers - werden das Buch sicher gerne lesen.

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.07.2001
Link
https://rezensionen.schule.at/portale/rezensionen/newsletter-fuer-englisch/detail/the-hours.html
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