The Goat or Who Is Sylvia?

Albee ist uns für seine großen Klassiker und seine eher läppischen Stücke wohl bekannt. Nunmehr liegt sein (wenn ich mich recht erinnere) 44. vor und das erste seit "Three Tall Women", das es sich wieder zu sehen (ein außerordentlicher Simonischek im Akadamietheater!), aber auch zu lesen lohnt.
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Albee ist uns für seine großen Klassiker und seine eher läppischen Stücke wohl bekannt. Nunmehr liegt sein (wenn ich mich recht erinnere) 44. vor und das erste seit "Three Tall Women", das es sich wieder zu sehen (ein außerordentlicher Simonischek im Akadamietheater!), aber auch zu lesen lohnt.

Martin, ein erfolgreicher Architekt, wird 50. Sein Leben lang war er seiner Frau Stevie treu, er war seinem Sohn Billy offensichtlich ein guter Vater, er war bestimmt ein umgänglicher Mensch und guter Freund. Aber eben als Freund irrt er sich zuerst, als er Rosse, den er nun schon 40 Jahre lang kennt, sein Geheimnis beichtet: dass er eine Ziege (Sylvia) mit aller Hingabe und aller Hoffnungslosigkeit liebt. Ross offenbart das Geheimnis auf der Stelle Stevie, die trotz ihrer Fassungslosigkeit von Martin Aufklärung verlangt und schließlich zu einem einfachen Mittel greift, alle ins Unglück zu stürzen.

Natürlich ist das absurdistisch-überdreht, auch wenn wir so manche Helden, hehre und schlichte, aus der Mythologie und aus Filmen, kennen, die sich nicht nur rettungslos in Tiere verliebt haben, sondern mit ihnen auch sexuelle Erfüllung zu finden schienen. (In "The Goat" liebt jemand etwa eine Gans.) Aber nicht das Tier ist es, worum sich alles dreht, sondern wir dürfen die Ziege ruhig auch (aber nur: auch!) als Angelpunkt der Sehnsucht sehen. Sylvia zieht alles Sehnen, Lieben und Hoffen, das in Martin (noch immer) schlummert, auf sich – schade halt, dass sie eine Ziege ist. Oder nicht einmal schade, denn Martins Versuche seiner Umwelt zu erklären, dass er es gewagt hat, das Universum zu stören, scheitert nicht nur an Sylvias Wesenheit, sondern am grundsätzlichen Unvermögen den Außenseiter zu verstehen. Darin liegt die doppelte Tragödie: dass wir uns offensichtlich nicht aussuchen können, wem (wem?) wir verfallen, und dass so eine überdrehte l'amour fou von niemandem verstanden, ja selbst von den Beteiligten nur ansatzweise begriffen wird. Albee nennt das in einer eingeklammerten Untertitelung: "Notes toward a definition of tragedy." Das passt, würde ich meinen. Und wem wohler ist, Sylvia als Metapher zu begreifen, der soll es tun. Und wer radikaler denkt und/oder fühlt, der möge sich an die Ziege halten.

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.07.2001
Link
https://rezensionen.schule.at/portale/rezensionen/newsletter-fuer-englisch/detail/the-goat-or-who-is-sylvia.html
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