Wir verfolgen eine namenlose Ich-Erzählerin, die zu ihrem ältesten Bruder (sie hat offenbar sehr viele Geschwister) in ein namenloses Land im Norden zieht. Sie soll sich um ihn, den erfolgreichen Geschäftsmann, kümmern. Das ist nicht weiter aufregend, aber ihre Ankunft fällt zusammen mit allerlei seltsamen Naturereignissen, und die Bewohner/innen des Landes sprechen nicht die Sprache der Neuankommenden, sie schafft es nicht, sich die einfachsten Wörter zu merken. Offensichtlich ist, dass die Bewohner sie fürchten. Ein Ladeninhaber versteckt sich gar hinter der Theke am Fußboden, eine Frau bricht in Tränen aus, als sie ihrer ansichtig wird.

Die Erzählerin schildert ihren Alltag (“see the leaves in colour, to experience the fresh air”), aber trotz dieser Alltäglichkeit bleibt immer das Gefühl, dass etwas „off key“ ist. Das ist z. B. das Verhältnis zu ihrem Bruder, den sie badet, der es liebt, sich anzukleiden, während sie ihn beobachtet. Das alles geschieht vermutlich nicht nur, weil sie lebenslangen Gehorsam gewöhnt ist.

Später erfahren wir, dass sie Jüdin ist, und man glaubt nun zu wissen, warum ihr so viel Abneigung entgegenschlägt. Aber auch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Dass sie etwa Puppen aus Weidenzweigen bei zahlreichen Häusern hinterlässt, trägt auch nicht zu ihrer Popularität bei.

Allmählich verschieben sich die Perspektiven. Die eigenartige Wahrnehmung der Welt durch die Protagonistin (“I tried to live according to the narratives available to me”) wird immer mehr durch die Reaktionen der Einheimischen konterkariert, der Bruder verfällt zusehends, wir werden als Leser/innen mehr oder weniger unaufgeklärt entlassen. Ein ausgezeichnetes Buch!

pp. 193 (Gegenwartsliteratur)