Manguel, Autor von dem höchst erfolgreichen Sachbuch "A History of Reading", hat eine Novelle geschrieben, die Fiktion und biografische Details aus dem Leben von Robert Louis Stevenson geschickt verknüpft.
Der kranke Stevenson verbringt seine letzten Lebensjahre in Samoa, wo er, als "tusitala" (Erzähler von Geschichten) von den Einwohnern Achtung und Respekt erfährt.
Eines Tages trifft er auf einen Landsmann, der ihm im Aussehen nicht unähnlich ist, der vor allem auch einen Hut trägt wie er – was später noch von Bedeutung sein wird. Mr Baker gehört der Gruppe verbissener Missionare an, aber dennoch freut sich Stevenson jedes Mal, wenn er auf ihn trifft, schon allein der Erinnerungen an die Heimat wegen.
Da passiert ein grauenhaftes Verbrechen: ein junges Mädchen wird vergewaltigt und ermordet; weitere Verbrechen folgen und der Verdacht fällt schließlich sogar auf Stevenson...
Manguel spielt sehr geschickt mit der Gedoppeltheit der menschlichen Seele, und das kompakt geschriebene Buch kann als Variation auf "Dr Jekyll and Mr Hyde" begriffen werden, gleichzeitig aber auch als kleine Verbeugung, die der Argentinier Manguel vor seinem großen Landsmann Borges macht. Zwar ist "Dr Jekyll and Mr Hyde" frei von der absoluten Menschenverachtung eines Mr Baker in dieser Novelle, aber dass auch Stevenson von gewalttätigen Phantasien gejagt wird, zeigt sich an der Geschichte, die er schreibt und die seine Frau so schrecklich findet, dass er sie verbrennt (was er übrigens auch mit der ersten Fassung von "Dr Jekyll and Mr Hyde" gemacht hat).
"Under the Palm Trees" ist schnell zu lesen, nistet sich aber im Kopf ein und lässt einen nicht so schnell wieder los.