Shadowplay

Autor O’CONNOR, Joseph

Verlag London: Harvill Secker 2019

Nie hätte sich Bram Stoker träumen lassen, dass man etwas mehr als 100 Jahre später für eine signierte Erstausgabe seines „Dracula“ ca. € 60,000 hinlegen würde müssen.

Er sah sich als erfolgloser Autor (war es bei seinem Tod 1912 auch) und war vorwiegend damit beschäftigt, das Lyceum Theatre zu managen, das dem genialen Shakespeare-Darsteller Henry Irving gehörte und an dem auch die umjubelte Ellen Terry viele Jahre lang auftrat.

O’Connor hat in diesem Roman die Figuren zusammengeführt. Am Rande noch Florence, Brams Ehefrau, teilhaben lassen – immerhin hat sie den Copyright-Streit mit den Nosferatu-Machern gewonnen.

Der Roman beginnt mit einem Brief Stokers an Terry: “a clutch of diary pages and private notes I kept on and off down the years and had begun working up into a novel ... or perhaps a play”. Das ist schon ein Hauptmotiv in Stokers Leben – vielleicht lässt sich ein Theaterstück daraus machen – aber gelingen will es nie so recht. Sein „Dracula“ am Lyceum ist ein Eintagesflop, seine Hassliebe zu Irving, der recht unsympathisch sein kann, ein jahrelanges Spiel, seine einigermaßen geheime Liebe zu Ellen ein quälender Trost.

O’Connor lässt nicht nur die Theaterwelt Londons (und auch die der Tourneen) meisterlich auferstehen, er verleiht auch seinen Charakteren unglaublich viel Authentizität. Der linkische Bär Stoker, der Egomane Irving, die bezaubernd-irrlichternde Terry führen uns durch alle möglichen Höhen und Tiefen. Im Schatten des Geschehens lauern die Figuren aus „Dracula“; Bram sitzt im Theater in Mina’s Lair und hämmert auf seiner Schreibmaschine. (Wenn ich mich recht erinnere, ist „Dracula“ das erste getippte Manuskript der Literatur.) Wilde, Yeats, Whitman, der von Irving gehasste Shaw, aber auch Jack the Ripper tanzen durch die Seiten des Romans. Bei der ménage à trois aber ist Bram der arme Narr; heute erinnern sich dafür mehr Menschen an ihn als an die Schauspielgrößen. Und dass Florence Stoker viel für das Copyright getan hat, wissen die Autorinnen und Autoren von heute gewiss nicht. Für alle aber gilt es in O’Connors Buch eine faszinierende Welt von Liebe, Verlust und Besessenheit zu entdecken. Es lohnt sich!

P.S. Noch ein Wort zur Sprache: Ideal für Wörtersammler und Thesauristen. Man könnte aber auch sagen: overwritten (analog zu overtourism).

pp. 306

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Sprache
Deutsch
Anbieter
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Veröffentlicht am
01.09.2019
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