One True Thing

"Die Geschichte fällt - wenn auch äußerlich nicht sichtbar - inhaltlich klar in zwei Teile. Im ersten Teil wird die 24-jährige Ellen Gulden von ihrem Vater, einem Collegelehrer im kleinstädtischen Langhorne, aus New York, wo sie sich nach Beendigung ihres Studiums eine unabhängige, durchaus erfo ...

"Die Geschichte fällt - wenn auch äußerlich nicht sichtbar - inhaltlich klar in zwei Teile. Im ersten Teil wird die 24-jährige Ellen Gulden von ihrem Vater, einem Collegelehrer im kleinstädtischen Langhorne, aus New York, wo sie sich nach Beendigung ihres Studiums eine unabhängige, durchaus erfolgversprechende Existenz aufgebaut hat, regelrecht zurückbeordert. Sie soll ihre 46-jährige Mutter, die gerade die Diagnose "Krebs im Endstadium" erhalten hat, durch ihre letzten Lebensmonate begleiten. Ellen, die Ich-Erzählerin des Romans, weist das väterliche "Ansinnen" zunächst entschieden zurück, gibt aber dann praktisch über Nacht Wohnung und Job (sie arbeitet für ein NYer Magazin) auf und kehrt nach Hause zurück. Der Vorwurf ihres zu diesem Zeitpunkt noch fast wie ein Idol verehrten Vaters "You have no heart" hat sie umdenken lassen.
In den nun folgenden Wochen und Monaten (von Herbst über Weihnachten bis zum Tod der Mutter im Februar) erweist sich Ellen als kompetente und überaus einfühlsame Pflegerin, die, da sich der Vater immer mehr entzieht, praktisch völlig auf sich alleine gestellt ist. Mit dem Tod der Mutter - und zugleich mit einem Knalleffekt - endet der 1. Teil: Die Autopsie der Leiche hat ergeben, dass Mary Gulden an einer Überdosis Morphium gestorben ist. Der Verdacht fällt auf Ellen und sie wird kurzfristig festgenommen.
Damit beginnt der 2. Teil der Geschichte. Ellen wartet im Haus Mrs Forburgs, ihrer früheren Lehrerin, die sie "freigekauft" hat, auf die gerichtliche Entscheidung, ob gegen sie Anklage wegen Mordes erhoben wird oder nicht. Das Telefon im Hause Mrs Forburgs läuft heiß, das Haus selbst ist von Reportern umringt, eine Schlagzeile jagt die andere... Gegen den Rat ihres Anwalts erklärt sich Ellen schließlich zu einer Aussage vor Gericht bereit; kurze Zeit später wird die Anklage gegen sie fallen gelassen. Ellen kehrt nach New York zurück, nimmt dort aber nicht die frühere Existenz auf, sondern beginnt ein Medizinstudium.
Am Ende des Buches (etwa acht Jahre später) arbeitet sie als erfolgreiche Psychiaterin, und es hat den Anschein, als würden sich auch privat die Dinge für sie zum Guten wenden.

Was vom Inhaltlichen her durchaus reichlich Stoff für eine tränentriefende Rührgeschichte geboten hätte, verarbeitet Anna Quindlen zum glatten Gegenteil: Sie lässt Sentimentalitäten erst gar nicht aufkommen, sondern schildert auf äußerst subtile Weise, wie sich angesichts einer sehr schrecklichen Wahrheit Sichtweisen und Beziehungen ändern bzw. wie andere Wahrheiten zum Vorschein kommen.
Geschickt werden in diese Schilderung Rückerinnerungen an Ellens Kindheit und Jugendzeit eingearbeitet, sodass wir insgesamt ein sehr anheimelndes Bild vom Leben in einer amerikanischen Kleinstadt erhalten.
Besonders gelungen ist Quindlen auch die Gestaltung der Charaktere, wobei ihre Sympathien ganz eindeutig auf Seiten der weiblichen Charaktere liegen. Sie sind die Starken in der Geschichte - allen voran Ellen und natürlich auch ihre Mutter, die sich in ihren letzten Lebensmonaten als Frau von großer innerer Stärke erweist. Da sind aber auch die behandelnde Ärztin, Frau Dr. Cohn, die Krankenschwester Teresa, die in den letzten Lebenswochen der Mutter aushilft, und Mrs Forburg, die Ellen, als sich fast die gesamte Öffentlichkeit gegen sie wendet, Zuflucht in ihrem Haus gewährt und damit sogar ihre berufliche Existenz aufs Spiel setzt.
Auf der anderen Seite stehen die Männer, angeführt von Ellens Vater, der nicht bereit oder in der Lage ist, Verantwortung zu übernehmen. Am Ende der Geschichte bezeichnet ihn Ellen als "not really bad, but weak" - im Gegensatz zu ihrem Ex-Verlobten Jonathan, der ihr nicht nur während der Krankheit der Mutter jegliche Unterstützung verwehrt, sondern sie nach dem Tod ans Messer liefert, indem er private Aussagen Ellens an die Polizei weitergibt, die sie im Zustand völliger Verzweiflung ihm gegenüber gemacht hat.
Alles in allem ein bemerkenswertes Buch, in dem die Spannung bis zur letzten Seite durchgehalten wird und das dazu anregt, eigene Sichtweisen zu überdenken."

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.07.2001
Link
https://rezensionen.schule.at/portale/rezensionen/newsletter-fuer-englisch/detail/one-true-thing.html
Kostenpflichtig
nein