Crossroads

Autor FRANZEN, Jonathan

Verlag London: 4th Estate 2021

Zwischendurch war ich immer wieder versucht, Wolfi Bauer zu zitieren: „Heid hods a Luft wie beim Tennessee Williams.“ Aber damit würde man Williams wahrscheinlich unrecht tun, denn dort ist die Luft viel kompakter verteilt.

Franzen, hoch gelobt wegen seines Romans „The Corrections“ (s. Archiv), hat sich daran gemacht, uns mit einer Trilogie zu versorgen. Der erste Band spielt in den Jahren 1971/72 und zeigt nicht nur den religiösen Jugendklub Crossroads, sondern auch eine Handvoll Figuren, die sich am Scheideweg befinden – so weit, so banal.

Die Hildebrandts hat es ordentlich erwischt. Vater Russ ist Pastor der wohlhabenden Gemeinde New Prospect (nahe Chicagos). Er ist in Ungnade gefallen (warum, spoilere ich hier nicht), außerdem hat er sich in ein neues Pfarrkind, die 37-jährige Frances, verliebt. Seine Gattin Marion versucht ebenfalls den Ausbruch und knüpft an ihre verrückte Jugendphase an. Der älteste Sohn Clem (18) will aus Gründen sozialer Gerechtigkeit in den Vietnam-Krieg ziehen; die Tochter Becky (17) findet Gott und einen Freund, der angeblich geniale und nach Drogen verrückte Perry (15) erschüttert das Familiengefüge schwer, nur der jüngste Sohn, Judson (9), ist bloß fremdbestimmt und einigermaßen pflegeleicht.

Russ gefällt sich in der Rolle des Navajo-Freundes (Pfarrprojekt in Kitsillie, Arizona), er hat Stokeley Carmichael die Hand geschüttelt, er besitzt die Originalversion von Robert Johnsons „Cross Road Blues“, aber ist trotzdem ein alter weißer Mann, der damals halt noch nicht so tituliert wurde.

So mühen wir uns also durch eine Familiengeschichte, die zu einer Umbruchszeit spielt. So wie hierzulande der Kaplan mit der Jazzmesse den Neuaufbruch signalisieren wollte, so ist es dort die Jugendarbeit der Pfarre, aber es schleichen sich, stärker als damals in Österreich, die Hippie-Töne ein. Da tut sich so eine brave Gemeinde voller Sünder schon ein bisschen schwer.

Das ist es auch, was mich an diesem Roman eher nervt: die Anhäufung religiöser Rituale, die Anhäufung religiös bedingter Schuldgefühle, die naiv-penetrante Gottesverehrung. Man mag es als einen Ausflug in eine seltsam-abgezirkelte Welt sehen, muss aber dann ein bisschen schaudernd feststellen, dass vieles in den USA noch immer so läuft – Gottesfurcht und Schuldgefühle halten einander brav die Waage. Hoffen wir, die Trilogie nimmt im zweiten Band eine Wende.

P.S. Noch nie habe ich einen Roman gelesen, in dem dreimal das Wort ‚nary‘ vorkommt.

pp. 580

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Sprache
Deutsch
Anbieter
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Veröffentlicht am
01.12.2021
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