Blonde

Nicht Hagiographie, nicht Dekonstruktion, sondern eine obsessive Ikonographie legt Oates in ihrem monumentalen Buch vor, von dem sie sagt: "For all its length, synecdoche is the principle of appropriation." Es ist dies nicht der erste Monumentalroman von Oates, einer unglaublich vielseitigen Sch ...

Nicht Hagiographie, nicht Dekonstruktion, sondern eine obsessive Ikonographie legt Oates in ihrem monumentalen Buch vor, von dem sie sagt: "For all its length, synecdoche is the principle of appropriation." Es ist dies nicht der erste Monumentalroman von Oates, einer unglaublich vielseitigen Schriftstellerin, aber es ist der erste, der tatsächlich das Gefühl hinterlässt, es könnte noch einmal tausend Seiten so weitergehen. Das mag mitunter ein ärgerliches Gefühl sein, aber im Endeffekt siegt doch die Lesesucht und der Roman ist schneller "appropriiert", als man glauben möchte.

Ein Blick auf eine Monroe-Biografie zeigt, dass Oates tatsächlich viel ausgespart, auch viel verändert hat. Von den 29 Filmen (das letzte Fragment nicht mitgerechnet) werden nur ein paar wichtige Stationen herausgenommen, von den vielen Begegnungen werden einige abstrahiert – und mit Innenleben versehen. The Ex-Athlete, the Playwright, the President sind solche Stationen – aber auch The Gemini, in denen Norma Jean Baker mit Cass Chaplin und E. G. Robinson Jr. Glück und Trauma erlebt.

In allem unterscheidet Oates streng zwischen dem unsicheren, schutz-, liebes-, bildungshungrigen Mädchen Norma Jean, die aus eigenem (Innen)Erleben ihre Rollen zu 'spielen' vermag (sie spielt nicht, sie ist) und der Ikone MM, eine Rolle, an der Norma Jean letztendlich zerbricht. Ihr eigentlicher Tod wird aber als mystery präsentiert, was ja den Autopsieberichten durchaus entgegenkommt.

Oates führt die vielen Krisen (aber auch Erfolge), die lange Suche eines kurzen Lebens, das kurzfristige Verwachsen mit den Rollen (auch als MM) auf ein paar private Erlebnisse und Stationen zurück: Gladys, Norma Jeans Mutter, die nicht einmal bei ihrer Geburt "anwesend" war, hat durch ihre Ablehnung des Kindes, durch ihre Einweisung in eine Anstalt Norma Jeans Leben entscheidend geprägt; noch entscheidender war der abwesende, nie gekannte Vater; konsequenterweise nannte Norma Jean bereits ihren ersten Ehemann "Daddy". Die Suche nach Liebe, Anerkennung, Geborgenheit hat ihre gesamte Existenz, die immer wieder von Verlusten (Fehlgeburten; fehlgeschlagene Ehen) gezeichnet war, geprägt. Ihre Erfolge als Schauspielerin konnten immer nur kurzfristigen Ausgleich schaffen, die Angst vorm Versagen, der Wunsch, besser und besser zu sein, waren ständige Begleiter. Dennoch spielte sie ihre Rollen gekonnt – eben auch jene des Sexsymbols, das die Männerwelt ununterbrochen auszog und zugleich verspottete. der naive Glaube: Why hurt another person? It's enough to be hurt yourself. (98) hilft letztendlich wenig in der Welt des Ausgenutzt-Werdens.

Oates hat mit "Blonde" mehr als nur eine literarische Biografie geschrieben. Sie hat ebenso zugleich zeitgenössischen Bildungsroman wie Sittenbild, innere Reise, Beziehungsroman, soziologischen Roman – und schließlich Sprachkunstwerk zusammengefügt, und wenn Sie die Zeit erübrigen können, dann rate ich Ihnen ernsthaft zu diesem Buch. Als Draufgabe sollte dann noch Platz für ein paar MM-Filme sein.

 

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.07.2001
Link
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