Das Theorem des Papageis

Was für ein herrliches Buch! Was "Sophies Welt" für die Philosophie unzureichend geleistet hat, das verwirklicht der aus Algerien stammende und in Paris lehrende Guedj auf hinreißende Weise für die Mathematik. Er erzählt nicht nur ein großes Stück Wissenschaftsgeschichte auf (fast immer) einleuc ...

Was für ein herrliches Buch! Was "Sophies Welt" für die Philosophie unzureichend geleistet hat, das verwirklicht der aus Algerien stammende und in Paris lehrende Guedj auf hinreißende Weise für die Mathematik. Er erzählt nicht nur ein großes Stück Wissenschaftsgeschichte auf (fast immer) einleuchtende und spannende Art, er hat auch das Drumherum, nämlich die Romanhandlung, erstaunlich gut gestaltet.
Monsieur Ruche, Buchhändler in der Rue Ravignan und nicht zufällig fast 84, erhält vom gleichaltrigen Freund Grosrouve aus Manaus (Brasilien) eine Sendung mit den schönsten und wichtigsten Werken der Geschichte der Mathematik. Grosrouve sieht sein Leben bedroht und sein Vermächtnis an Ruche sind die Bücher, die diesen zwingen, sich mit der Mathematik auseinanderzusetzen, damit er das Rätsel, das Grosrouve umgibt, lösen kann. Monsieur Ruches Buchhandlung wird von Perrette geführt, die mit ihren Kindern, den Zwillingen Jonathan und La, und dem tauben Max bei ihm wohnt. Eines Tages rettet Max einen Papagei aus den Händen einiger finsterer Typen und löst damit eine Kette von Ereignissen aus, die Ruche nach Sizilien führen; es sind nämlich Max und der Papagei dorthin entführt worden, und so trifft Ruche auf den gemeinsamen Freund (Freund?) Don Ottavio, mächtiger und reicher Boss, der nicht nur wertvolle Bilder, sondern auch Lösungen zu mathematischen Rätseln sammelt. Welche Rolle der Papagei dabei spielt, welche Rätsel gelöst werden können und welche nicht, das sei nicht verraten.

Um Lösungen (mögliche und ersehnte) geht es in diesem Buch; um sich weiterzubewegen, müssen sich Ruche und seine Freunde durch die BAU (Bibliothek aus dem Urwald) durchackern. Zwangsläufig müssen wir mit, und unsere wichtigsten Stationen heißen: Thales, Pythogras, Euklid, die indische und arabische Mathematik, Tartaglia, Ferrari, Fibonacci, Gauß, Euler, Fermat - ach was! Viel, viel mehr Namen sind es, und sie sind alle wichtig und sie werden alle so lebendig, dass einem der Mund offen bleibt. Allein das Kapitel um Omar Khayyam, das um die tragischen Schicksale von Bibliotheken - oder das um Euler - oder das um die intriganten italienischen Mathematiker oder machen das Buch lesenswert. Es ist mir nicht neu, dass Mathematik ungeheuer aufregend sein kann, aber Guedj macht dies auch für Laien wirklich sichtbar; und obendrein versteht er es, Wissenschaftsgeschichte tatsächlich in eine Romanhandlung einzubauen. Und er hat auch zahlreiche biografische Details zu unglaublich vielen Mathematikern (auch Mathematikerinnen, wo möglich) ausgegraben. Was bleibt da noch zu kritisieren?
Die Handhabbarkeit. Ein Index wäre höchst willkommen gewesen; die Namensliste "In der Reihenfolge ihres Auftretens" am Schluss ist da nur bedingt hilfreich. Da sucht man etwa nach Goldbach (seine Vermutung seit jeher eine meine Lieblingsvermutungen) und findet ihn nicht; plötzlich taucht er gegen Schluss des Buches auf und wird sogar noch ungeheuer wichtig (so wie Fermat, in der Folge Wiles).
Mathematisch bleibt mir natürlich so manches verborgen; warum die freundlichen Zahlen des Pythagoras nicht durch sich selbst geteilt werden etwa; so mancher Rechengang, so mancher Beweis. Aber das tut dem Lesevergnügen keinen Abbruch - und ich beschwöre Sie: Wenn jemand unter Ihren Schülern/Schülerinnen ist, der/die auch nur eine Spur von Interesse an der Mathematik zeigt, empfehlen Sie, drängen Sie auf, beschwatzen Sie!! Spannender kann Wissenschaftsgeschichte nicht sein!

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.07.2001
Link
https://rezensionen.schule.at/portale/rezensionen/julit-deutsch/wissenschaft/detail/das-theorem-des-papageis.html
Kostenpflichtig
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