Lehrerzimmer

Keineswegs als Jugendbuch gedacht, möchte ich Orths zweiten Roman dennoch hier rezensieren, da ich davon überzeugt bin, dass auch Jugendliche ihn mit Vergnügen lesen werden. Größer ist das Vergnügen (und auch die Beklemmung) sicher bei Lehrerinnen und Lehrern, denn ...

Keineswegs als Jugendbuch gedacht, möchte ich Orths zweiten Roman dennoch hier rezensieren, da ich davon überzeugt bin, dass auch Jugendliche ihn mit Vergnügen lesen werden. Größer ist das Vergnügen (und auch die Beklemmung) sicher bei Lehrerinnen und Lehrern, denn der Blick in den Spiegel hat immer etwas für sich.
Studienassessor Kranich, Deutsch, Englisch (so die Vorstellformel) hat lange dem Anruf entgegengezittert: Eines Tages ist es so weit – er erfährt, dass er in Göppingen seinen Dienst antreten soll. Schnell von Stuttgart angereist, muss er erfahren, dass sein erster Fehler ist, nicht Göppinger zu sein, ja nicht einmal in Göppingen zu wohnen. Nachdem ihm Direktor Höllinger (der Mann, der die Beurteilung schreiben werde, so dessen Selbstdarstellung) die vier Säulen des Schulsystems (Angst, Jammer, Schein und Lüge) erklärt hat, macht er Kranich mit den Schlüsselqualifikationen (nie den Schulschlüssel irgendwo liegen lassen, denn der GSB = Geheime Sicherheitsbeauftragte könnte ihn stehlen) vertraut.
Was folgt, ist eine bitterböse Satire auf den verschulten Schulbetrieb, in dem man sich z. B. bemüht, Kreativitätsbewertungskriterien zu erstellen, da die Große Studie ergeben hat, deutsche Schulen müssten kreativer werden, in der aber die Lehrerinnen und Lehrer immer mehr Zerrbilder ihrer selbst werden. In einem System der Angst und Kontrolle verselbstständigen sich Idiosynkrasien, sodass die Kollegin, die immer geprüft werden will (schwierige Fragen, bitte) und der Kollege, der seine Liebesnächte wie Unterrichtsstunden plant, nur Nichtlehrerinnen und -lehrern völlig skurril erscheinen mögen.
Unsereins, aber auch unseren Schülerinnen und Schülern, bleibt das Lachen wahrscheinlich öfters im Halse stecken als der allgemeinen Öffentlichkeit, und was Orths so nebenbei über Fachkonferenzen, Beurteilungen und Kontrollen zu sagen hat, ist nur eine unterschiedlich stark wahrgenommene Vergröberung der Wirklichkeit. Viel Gespür für Satire und eine sichere, klare, die Geschichte tatsächlich bereichernde Sprache machen das Buch auf jeden Fall zu einer lohnenswerten Lektüre. Allen, die mit Schule zu tun haben, allen, die nicht mit Schule zu tun haben, nachdrücklich empfohlen.

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
01.07.2001
Link
https://rezensionen.schule.at/portale/rezensionen/julit-deutsch/gesellschaft/detail/lehrerzimmer-1.html
Kostenpflichtig
nein